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E1-41-52-D-Odenwald

Donnerwetter


Durch das Rheintal und den Odenwald

Von Walluf am Rhein nach Pforzheim an der Enz.

11 Etappen | 250 km | 31.5. - 11.6.16


E1 Tag 41 (31.5.16)

HH -> Walluf a. R. -> Fischteiche im Nirgendwo (34 km)

Der Winter war lang und ich freue mich, dass die nächste Etappe durch Deutschland endlich beginnt.

Nach langer, aber angenehmer Zugfahrt stehe ich am Bahnhof von Walluf am Rhein und mir kommt die letzte Tour in den Sinn, die im letzten Jahr hier endete, wo es jetzt weiter gehen soll.

Ich schalte Else Komoot, meine (meist) zuverlässige Navigationsbegleitung mit weiblicher Stimme ein.

Sie begrüßt mich mit: "Los geht's".

"Ja, los geht's", erwidere ich freudig und mache den ersten Schritt auf der elftägigen Wanderung durch den Odenwald.

Als erstes strebe ich zur Fahrradfähre, die mich über den Rhein bringen soll. Auf diese Überfahrt habe ich mich den ganzen Winter gefreut. Letztes Jahr stand ich hier und ein Schild informierte mich, dass die Fähre ihren Dienst bereits eingestellt habe und erst im April den Dienst wieder aufnehmen würde.

Heute stehe ich wieder vor diesem Schild, jetzt lese ich eine andere Botschaft: Fährbetrieb nur an Wochenenden oder Feiertagen. Heute ist Dienstag. Also setzt der Fährmann nicht über.

Ich bin tief enttäuscht!

Ich atme tief durch.

Und denke: "was soll's. Alles hat auch immer etwas Gutes. Suche es."

Ich verbleibe notgedrungen auf der linksrheinische Seite und merke dabei schnell, dass der Rheinuferweg wunderbar ist. Der Weg auf der anderen Seite hätte mich entlang einer großen Straße geführt. Da habe ich schon das Gute gefunden!

In dieser Gegend hat es in den letzten Tagen viele Unwetter mit heftigen Regenfällen gegeben. Der Pegelstand des Rheins ist entsprechend hoch und an vielen Stellen ist er über seine Ufer getreten.
Geplant war nach der langen Anreise ein nur kurzer Wandertag. So komme ich schon nach vierzehn Kilometern am geplanten Etappenziel an. Doch der Campingplatz Maaraue ist als Opfer des Hochwassers gesperrt. Wohnwagen werden gerade evakuiert.

Ich hatte einen Zeltplatz reserviert und bin ein wenig sauer, dass ich hier nicht bleiben kann. Ich müffle die Campingbesitzerin an, dass sie mir doch wenigstens eine Mail hätte schicken können. "Guter Mann, ich habe weiß Gott gerade andere Sorgen!", erwidert sie.

Da hat sie wohl Recht.
So habe ich schon am ersten Wandertag zwei Mal Pech.
Aber was soll's! Ich wandere weiter am Rhein entlang und werde schon sehen, wie weit ich noch komme und wo ich übernachten werde.

Ich komme an einem großen Schild aus Edelstahl vorbei. 50 Grad nördliche Breite steht drauf. Das bedeutet, dass ich gerade den 50ten Breitengrad überschreite. Hey, das ist ja toll!
Der Rhein tritt an vielen Stellen über seine Ufer. Wege sind überflutet, Anlegestellen nicht mehr zugänglich. Überall Hochwasser! Es müssen schlimme Unwetter gewesen sein in letzten Zeit.
Ich verlasse den Rheinufer-Wanderweg hinter Wiesbaden, Mainz liegt auf der anderen Rheinseite. Weiter geht es jetzt auf dem Deichkrone den Ginsheimer Altrhein, einem Seitenarm des Rheins, entlang, den Wildblumen, bunten Tupfen gleich, bedecken, die feurig im feuchten Gras glitzern. 
Es ist ein wunderschöner Weg.

Es wird Zeit, einen Platz zum Übernachten zu finden.

Ein Campingplatz liegt am Weg, der gar nicht in der Karte verzeichnet ist. Ein Gang über den Platz läßt mich angewidert umkehren. Meine Güte, ist der herunter gekommen! Da stehen sogar zwei ausgebrannte Autos herum. "Nein, hier will ich nicht bleiben", entscheide ich.
Es wird immer später. Nach meiner Karte gibt es keinen Campingplatz in der Nähe. Wild campen will ich aber auch nicht.

Ich mache erst einmal Pause, hole den neuen Kocher raus und koche einen Tee. Dazu gibt es Brot und Käse, kurz zuvor in einem Supermarkt erworben.

Während der Rast treffe ich die Entscheidung, weiter bis zum Campingplatz zu laufen, der für morgen das Tagesziel gewesen wäre. Doch bis dahin sind es noch einige Kilometer....

Gerade geht es an Fischteichen entlang. Else Komoot will nach links abbiegen, aber da ist ein hoher Zaun. "Was machst du nur, Else? Ich habe keine Lust mehr auf Umwege", denke ich, als ich zurück gehe. Doch bald merke ich: auch hier fügt sich alles zum Guten.

So stoße ich kurz darauf auf einen kleinen, privat geführten Campingplatz, der wohl den Anglern gehört. Vom Platz dringen Geräusche träger Gemütlichkeit herüber, denen ich nachgehe. Da sitzen Menschen zusammen beim Grillen. Ich trete hinzu und frage, ob ich hier vielleicht übernachten könnte.

"Ja, da hinten auf unserer Gästewiese ist Platz genug". Komm ma' mit, dann kriegste 'nen Schlüssel für's Waschhaus. Macht 10€ die Nacht und 'nen Euro für die Waschmarke."

Bin ich froh, nicht mehr weiter zu müssen!

Auf der feuchten Wiese schlage ich mein neues Zelt auf und richte mich für die Nacht ein, während die Sonne über den angrenzenden Fischteichen rot glühend untergeht.

Ich freue mich auf morgen und verbringe meine erste Nacht im Zelt.


E1 Tag 42 (1.6.16)

Früh bin ich wach, denn die Vögel begrüßen laut zwitschernd den Morgen und beenden damit meine Nachtruhe.

Viel Zeit für's Frühstück nehme ich mir nicht. Die Nacht muss sehr feucht gewesen sein, denn die Wiese ist immer noch naß. So trocknet das Zelt auch nicht ab und kommt schließlich klamm in den Rucksack.

Zunächst geht es ziemlich lange eine breite Straße ohne Seitenstreifen entlang, auf der die Autos ohne große Rücksichtnahme an mir vorbei brausen. Einige Male muss ich mich auf den Grünstreifen retten, um nicht von einem vorbeidonnernden LKW überrollt zu werden und bin sehr erleichtert, dass ich nicht gestern abend mehr hier lang musste, als ich keine Kraft mehr hatte.

Ich komme am Campingplatz Riedsee vorbei, auf dem ich gestern übernachten wollte. Nun bin ich froh, dass ich es nicht getan habe, denn er wirkt abweisend auf mich und ich sehe fast keine Zelte oder Wohnwagen. Vermutlich hat sich auch hier das Unwetter ausgewirkt und die Gäste vertrieben. Ich gehe schnell weiter.

Es beginnt zu schauern. Bald wird der Regen heftiger und schließlich gießt es in Strömen.

Und vor allem - es hört einfach nicht mehr auf.

Meine alte Regenjacke hält mich trocken und warm, während die kurze Wanderhose klitschnass ist, weil ich keine Regenhose dabei habe. Doch das macht mir nichts.
Über Wiesen und Wälder geht es immer weiter durch das flache Rheintal dem Odenwald entgegen. Eine mörderisch lange Strecke von fast vierzig Kilometern bin ich schon gelaufen. Ich bin völlig fertig, als ich endlich in Jugenheim ankomme.

Heute ist geplant, im Hotel Brandhof zu übernachten; das Ziel ist in der Navigationssoftware gespeichert. Doch Else Komoot meint, ich sei am Ziel vorbei gelaufen. Ich bin irritiert und halte Ausschau nach dem Hotel. Doch hier ist keines. Ich stelle mich unter, denn es gießt weiter in Strömen, versuche mich zu orientieren. Von meiner Kaputze lecken dicke  Tropfen auf mein Smartphone, so dass ich Angst habe, dass es in Kürze den Dienst quittieren könnte. Ungeduldig versuche ich dem Internet die Adresse des Hotels zu entlocken, denn die habe ich mir nicht aufgeschrieben. Ein Fehler, der sich nicht wiederholen soll. Die Verbindung ist quälend langsam und es braucht gefühlte Stunden, bis sich die Hotelseite aufbaut.

Schließlich habe ich die Telefonnummer und rufe im Brandhof an.

"Ja, wir haben noch ein Einzelzimmer frei" , meint eine freundliche Stimme. Ich nehme es sofort und freue mich, bald dem Regen entronnen zu sein.

Das Hotel liegt außerhalb und es sind weitere drei Kilometer bis dahin. Bergauf natürlich, denn hier beginnt der Odenwald.

Pitschepatschenass erreiche ich endlich das Hotel. So schön war es noch nie, mich in meinem kleinen Zimmer lang ausstecken zu können.
Was für ein langer Ritt heute! Ich bin am Ende.

Ich raffe mich noch einmal auf und suche den Speisesaal auf.

Spargel mit Butter an Frühkartoffeln, begleitet von diversen lokalen Bierchen bringen mich zurück auf Spur.

Übernachtung: Hotel Brandhof


E1 Tag 43 (2.6.16)

Nach einem ausgiebigen Frühstück geht es - heute mal ohne Rucksack - Richtung Felsenmeer. Heute wandel ich sozusagen auf Sacki's Spuren, denn er war es, der mich in einem Video auf diese monumentale Attraktion aufmerksam gemacht hat.
Es ist äußerst angenehm, ohne Last auf dem Rücken zu wandern.
"Alles richtig gemacht mit der Zwischenübernachtung! Auch wenn ich den Weg morgen ein zweites Mal gehen muss", denke ich, während ich durch den Wald stapfend stets bergan dem Felsenmeer entgegenstrebe.
Bald darauf bin ich in Felsberg, dort beginnt das Naturschutzgebiet. Von dem, was mich hier erwartet, habe ich dank Sacki's Video schon eine gute Vorstellung:

Massive Granitsteine. Einige haben aufgrund ihres Aussehens Namen erhalten:

Riesensarg, Riesensäule, Krokodil u.a..

Nach und nach stehe ich vor diesen berühmten Steinen. Nur das Schiff, den größten unter den Riesenbrocken, finde ich nicht, so sehr ich auch danach suche. Die Beschilderung könnte besser sein, finde ich.

Und dann stehe ich vor dem eigentlichen Felsenmeer, direkt hinter der Riesensäule beginnt es. Riesige Brocken liegen hier über und über getürmt, vor Urzeiten während der Eiszeit von riesigen Gletschern hier abgelegt. Sacki hat in seinem Video (suche bei YouTube nach <Sacki Odenwaldtour>) jedoch eine andere Geschichte parat:
Zwei Riesen bewarfen sich im Streit mit den Steinbrocken. Der eine hatte viel mehr Steine und begrub den anderen Riesen unter dem Steinhaufen, auf dem ich gerade stehe. Er soll noch unter dem Haufen liegen...

Ich folge dem imposanten Felsenmeer talwärts und vergesse dabei völlig, dass ich denselben Weg auch wieder hoch muss. Der Anstieg ist dann auch sehr anstrengend und ich spüre den gestrigen Tag in den Waden. Puh!
Endlich habe ich mich satt gesehen und kehre zurück zum Hotel. Wie schön, bereits eine Unterkunft zu haben und nicht mehr suchen zu müssen.

Das war ein schöner, entspannter Wandertag.

Die Sonne kommt noch heraus und ich nehme einen Milchkaffee und Nusstorte auf der Terrasse, während ich den nächsten Tag plane. Legger.
Und was gibt es wohl Abends? Richtig: Spargel mit Butter an jungen Kartoffeln, dieses Mal mit Schinken. Und natürlich Bier satt.


E1 Tag 44 (3.6.16)

Mit einigen Happen vom Frühstücksbuffet geht es weiter.

Endlich im Odenwald!

Zunächst passiere ich im Schnelldurchgang wieder das Felsenmeer. Dieses Mal gehe ich bis zum südliche Ende runter nach Reichenbach, will nur schnell noch schnell einen Blick ins Infocenter werfen. Mit dem Centerleiter komme ich ins Plaudern und so dauert es länger als gedacht. Er hat auch schon manche Tour gemacht und als wir uns verabschieden, meint er wehmütig, er würde am Liebsten jetzt gleich mitwandern.

Doch er muss bleiben. Wer infomiert sonst die Touristen über das Felsenmeer?

Heute folge ich den Wegmarken des E1. Der Weg ist gut gekennzeichnet und Else Komoot hat Pause.

Dachte ich, doch in Reichenbach verlaufe ich mich sogleich. Plötzlich bin ich auf den Spuren des E8, der hier offenbar auch durchkommt. Wo ist der E1 geblieben? Also zurück.

Der E1 teilt sich das Wegstück mit dem Niebelungenweg. Irgendwo hier in der Nähe soll der Sage nach Held Siegfried im Drachenblut gebadet haben. Ich komme aber an der Stelle nicht vorbei. Das Drachenblut wäre sicher auch schon trocken.

Was unweigerlich dem Abstieg folgt, ist ein erneuter Aufstieg. Dieses Mal geht es bereits auf 500 Höhenmeter hinauf. Ich komme trotz bewölktem Himmel mächtig ins Schwitzen

Kaum bin ich oben angekommen, geht es schon wieder abwärts. Doch erst einmal gibt es eine prächtige Aussicht zur Belohnung.
So geht es einige Male heute. Und das schlaucht! Doch jedem Aufstieg folgt ein schöner Fernblick zur Belohnung.

Das Wetter scheint besser zu werden, der Boden allerdings ist von den vorangegangenen Regentagen aufgeweicht und matschig. Meine neuen Wanderstiefel sind von den Alten, die zu Hause nun ihr Gnadenbrot fristen, schon bald nicht mehr zu unterscheiden. Doch die neuen Sohlen machen sich griffig bemerkbar.

Das gute Wetter ist leider nicht von langer Dauer. Kurz vor dem Tagesziel beginnt es wieder an zu regnen. Aber das macht mir nichts, denn just kommt eine Schutzhütte in Sicht. Während einer erholsamen Pause koche ich mir ein Getreidemüsli von Alnatura mit Wasser auf. Schmeckt köstlich, wenn man Hunger hat. Hinterher gibt es noch einen Instant-Kaffee. Was braucht man mehr? Ach ja, ein Nickerchen. Nur zehn Minuten!
Das ist Gemütlichkeit pur in dieser Schutzhütte, während der Regen aufs Dach trommelt.
Es hört nicht auf zu regnen, also im Nassen weiter, ich bin ja nicht aus Zucker.
Wie gut, dass ich die Unterkunft
<Waldschänke Fuhr> in Juhöhe bereits heute morgen telefonisch gebucht hatte. Ein großes Zimmer mit roter Coach wartet auf mich.

Nach einem kurzen Nachmittagsschläfchen und Wäschewaschen verdrücke ich später im Restaurant des Hotels - richtig geraten - Spargel mit Schinken und spüle mit drei großen Bieren nach, währenddessen mein Blick sich in der Ferne verliert. Zumindest, soweit es die heranziehenden Regenwolken zulassen.

Übernachtung: Waldschenke Fuhr


E1 Tag 45 (4.6.16)

Während des Frühstücks kann ich noch einmal den spektakulären Blick aus dem Fenster des Speisesaals genießen. Heute ist es klarer und es verspricht ein schöner Tag zu werden.

Ein Radfahrer, den ich gestern getroffen habe, hat mir einen Abstecher nach Weinheim ans Herz gelegt.

Beim Frühstück plane ich es für heute ein (denn nur dort geht das WLAN) und buche auch gleich eine Pension in Birkenau, das kurz vor Weinheim liegt.
Der Marsch ist nur kurz, es geht über Höhenwege, die weite Blicke übers Land gewähren. Der Himmel ist zwar bewölkt und läßt die Sonne nicht durch, aber das ist ja ideal zum Wandern.
Bei der Leonhard-Schenk-Hütte mache ich Pause. Schenk? Wird hier auch Bier ausgeschenkt? Ein Fenster, gestaltet wie ein Tresen, suggeriert mir das. Nein, der Erbauer heißt nur so. Schade.
Während ich Kaffee koche, beginnt es zu regnen.

Ich frage mich: gibt es einen Zusammenhang zwischen Schutzhütte und Regen? Jedesmal, wenn ich eine Schutzhütte aufsuche, gibt es Regen. Doch kurz darauf ist es wieder trocken.

Bald erreiche ich Birkenau.

Die Pension macht keinen schönen ersten Eindruck, doch drinnen ist alles adrett und die Wirtin begrüßt mich sehr freundlich (ihre Mutter auch ;-) )
Schnell richte ich mich ein, mache Wäsche und dann geht es wieder los.

Weinheim wartet! (s. nächste Tour).

Der Nachmittag gehört Weinheim. Ich möchte mir den Ort in aller Ruhe und Leichtigkeit (ohne Kumpel) ansehen.

Der Weg führt das Flüsschen <Weschnitz> entlang, es ist ein lauschiger, ruhiger und abgelegener Weg, der durch ein Wäldchen führt.
Die 45 Tausend Einwohner große Stadt Weinheim hat touristisch mehr zu bieten, als mir Stunden zur Verfügung stehen: es gibt zwei Burgen, eine Stadtmauern, vier Kirchen, ein Schloss, die Altstadt und einen Exotenpark.
Ich entscheide  mich für die Burg Windeck. Es ist ein schweißtreibender Aufstieg, denn die Sonne scheint, obwohl der Himmel weiter bewölkt bleibt. Oben angekommen, erklimme ich noch die 60 Stufen den Burgturm hinauf und genieße vom höchsten Punkt die Aussicht über Stadt und Land.

In der Altstadt treffe ich auf die Touristenströme, die sich vor allem in die Cafés und Restaurants ergießen.

Auch ich geselle mich dazu, genieße Kaffee und Kuchen mit Sahne.

So gestärkt geht es nun in die St.-Laurentius-Kirche, die erst 1912 erbaut wurde, aber viel älter aussieht. Das Ehrenmal vor dem Portal steht schon länger dort, es wurde 1890 auf dem Marktplatz errichtet. Es gedenkt Kaiser Wilhelm I und dem Deutsch Französischen Krieg von 1870/71, an dem auch hundertsechzig Weinheimer beteiligt waren, unter anderem der hier dargestellte Soldat. Mit erhobener Fahne und gezücktem Schwert stürmt er über einen bereits niedergerissenen Befestigungszaun und einen am Boden liegenden Helm voran.

In der Kirche geht es friedlicher zu, dort gibt sich ein Paar gerade das Ja-Wort. Für einen Moment setzte ich mich in die letzte Reihe und folge still der Hochzeitsprozedur.

Draußen vor dem Mahnmal wartet der Mustang auf die Frischvermählten.

Dann mache ich mich auf den Rückweg, bunkere bei REWE noch Brot und Käse als heutiges Abendbrot, genieße später meinen ruhigen Abend auf dem Balkon bei heißem Tee vom Kocher und Käsebrot ohne Butter.
Mehr brauche ich im Augenblick nicht, um glücklich zu sein.

Und weil das Wetter gerade so gut ist, beschließe ich, morgen mal wieder im Zelt zu übernachten.

Übernachtung: 3 Birken in Birkenau


E1 Tag 46 (5.6.16)

Kumpel steht schon gepackt und wartet im Zimmer auf seinen Einsatz, während ich Punkt acht Uhr als erster Gast im Frühstücksraum auftauche. Müsli und Kaffee geben die notwendige Kraft für den heutigen langen Wandertag, der bevor steht und mich an den Neckar führen soll.

Die nette Wirtin wünscht mir beim Verabschieden viel Spaß, doch es dauert nicht lange, da gilt es schon wieder, Höhenmeter zu machen. Und das wird heute so bleiben. Mal geht es rauf, mal runter. Der heutige Wandertag wird sich zwischen zwei- und vierhundert Höhenmeter bewegen. Ich bin halt im Odenwald.

In Gorxheim überquere ich den Grundelbach, der hier zu einem kleinen See aufgestaut wird. Den ersten steilen Aufstieg und nachfolgenden Abstieg habe ich hinter mir. Ich bin schon müde, und dabei liegen erst fünf Kilometer hinter mir. Ich lasse mich auf einer Bank am See, zu dem der Grundelbach hier aufgestaut wurde, nieder und genieße einen Energieriegel in der Hoffnung, er bringe neue Kraft. Ich ziehe meine Karte heraus und schaue, wie es weiter geht. Auf dieser Wanderung benutze ich neben Komoot auch klassische Wanderkarten von <Kompass> und ich bin froh, dass ich die Karten, die das Wandergebiet abbilden, mitgenommen habe. Doch bringen die drei Karten 450g zusätzliches Gewicht in den Rucksack. Und hier an diesem See habe ich die erste Karte "abgelaufen". Mit einem guten Gefühl lasse ich sie in dem Mülleimer neben der Bank zurück.

So, nun soll's weiter gehen, aber Else Komoot weiß nicht, wohin. So irre ich etwas herum, bis wir gemeinsam den Weg finden. Und gleich geht es wieder bergan, stetig steige ich immer höher in den tiefen Odenwald hinein.

Hinter Steinklingen habe ich bei 350 Metern den vorläufig höchsten Punkt für heute erreicht und trete aus dem Wald. Vor mir liegt kein erfreulicher Anblick, denn in der Ferne türmen sich dunkle Wolken hoch und höher, während hinter mir der Himmel weiterhin unschuldig blau ist. Schon grummelt und rumort es, ein Gewitter scheint heran zu ziehen. Ich hoffe, auch heute verschont zu bleiben, denn bisher habe ich nur über die Nachrichten von den Unwettern erfahren, die in dieser Region derzeit ihr Unwesen treiben.
Doch es erwischt mich dieses Mal mitten im Wald. Es beginnt mit harmlosen Regen, der allmählich stärker wird. Erst grummelt es, dann donnert es, es folgen Blitze, die in den dunklen Wolken nur als helles Leuchten auszumachen sind. Ich suche Schutz unter die Bäume, wohl wissend, dass man es nicht soll. Es könnte gefährlich sein, sofern ein Blitz in der Nähe einschlägt.

Das Gewitter kommt dicht und dichter, schließlich ist es direkt über mir. Es blitzt und donnert gleichzeitig. Kumpel wird es unheimlich, ich muss ihn beruhigen - und er mich. 

Aus einem von Sackis Videos erinnere ich, wie man sich bei Gewitter zu verhalten hat:

kein Metall am Körper. Ich habe das Bild vor Augen, wie er seinen Rucksack wegschleudert. So stelle ich Kumpel auf die eine Seite des Weges, decke ihn mit seinem Cape ab, während ich mich auf der anderen Seite des Weges unter einen nicht allzu hohen Baum stelle.
Doch das Blätterdach gewährt keinen Schutz mehr, der Regen ist zu heftig. Ich werde nass bis auf die Haut. Kumpel dagegen bleibt unter seinem Cape trocken.
Dann ist es plötzlich vorbei. Während der Regen von den Blättern tropft, schultere ich Kumpel und gehe weiter. Nun geht es nicht mehr über Wege, sondern durch Bäche, die talwärts stürzen. Doch die neuen Wanderstiefel halten dicht, auch wenn sie von außen völlig durchnäßt sind.

Dann kommt die Sonne wieder hervor und verdampft das Wasser. Im Wald entsteht durch die Nebelschwaden eine gespenstische Stimmung.

Nach vielen Kilometern erreiche ich den Neckar. Die Sonne scheint immer noch, es ist warm geworden und meine Planung, heute auf einem Campingplatz zu übernachten, scheint aufzugehen. Ich habe mir den Campingplatz Haide, der hochwassersicher zwischen Heidelberg und Neckargemünd liegt, für die heutige Nacht ausgesucht.
Und tatsächlich, er hat offen und der nette Campingwart lässt mich selbst einen Platz suchen. Damit lasse ich mir Zeit, denn er soll ja möglichst trocken sein. Das ist nicht leicht, aber schließlich ist er gefunden. Bei herrlichem Sonnenschein baue ich mein kleines Zelt auf. Nebenan baut bereits jemand an seinem wesentlich größeren Zelt, unterbricht aber seine Arbeit, als er sieht, wie klein mein Zelt ist und kommt rüber. Gleich reicht er mir ein Bier und stellt sich vor. Jörg kommt wie ich aus Hamburg, welch ein Zufall. Wir verabreden uns für später auf ein weiteres Bier und werkeln erst einmal weiter an unseren Zelten. Während ich mein 1-Mann Zelt errichte, baut er sein 5-Meter Zelt auf, in dem er dann alleine schläft. Jedem das Seine.

Ich ziehe mir noch einen dicken Holzklotz heran, der mir als Campingstuhl dienen soll. Denn heute soll es mal was Richtiges aus der Campingküche geben und dafür möchte ich gemütlich sitzen. Ich angle mir eine Packung Rindfleisch Stroganoff mit Reis von Trek'n Eat aus den Vorräten. Einhundertsechzig leckere Gramm, die Kumpel bis hierher geschleppt hat. Genau das Richtige nach einer so langen Wanderung. Heißes Wasser drauf, neun Minuten warten, fertig. Und tatsächlich - es schmeckt lecker. Vielleicht ist es auch nur der Hunger...

Danach noch einen heißen Tee.
Kaum bin ich fertig, ziehen neue Wolken über den blauen Himmel. Da kommt das nächste Unwetter. Ich verziehe mich in mein kleines Zelt und schon geht es los. Der Regen trommelt auf das Zeltdach und der Donner klingt so nah, als wäre ich mitten drin. Ich kuschle mich in meinen Daunenschlafsack und finde es gemütlich. Das Zelt hält dicht, alles bleibt trocken. Es steigert mein Vertrauen in meine Minibehausung.
In einer Regenpause schlüpfe ich zum Zähneputzen noch mal kurz aus dem Zelt, dann kuschle ich mich wieder in den Schlafsack und bin bald eingeschlafen.
Gute Nacht.

Das Biergelage mit Jörg gibt es dann vielleicht morgen.

Übernachtung: Campingplatz Haide bei Neckargemünd


E1 Tag 47 (6.6.16)

Frühes Erwachen um 5:30 Uhr, mehr Schlaf gibt die harte Isomatte nicht her. Ich muss mich wohl noch daran gewöhnen. Draußen ist alles feucht, die umliegenden Hügel nebelverhangen. Bald darauf bricht die Sonne durch die Wolken, doch mein Zelt liegt weiter im Schatten und wird einfach nicht trocken.

Erst einmal in aller Ruhe Frühstück machen mit Morgenstund und heißem Kaffee. Ich habe Zeit, denn heute mache ich einen Tag Wanderpause. Das bedeutet nicht, dass nichts unternommen wird. Was soll ich auch den ganzen Tag auf dem Campingplatz tun?
Um zehn geht es nach Neckargemünd. Eine bewusste Entscheidung gegen Heidelberg wegen der vielen Touristen, die ich dort vermute.
Es ist eine Fehlentscheidung, wie ich bald herausfinde. Neckargemünd hat nicht viel zu bieten: eine triste Altstadt, kein einziges Café, zwei Kirchen verschlossen, die Burg Reichenstein eine Ruine, von der fast nichts mehr zu erkennen ist.

Ein Highlight ist die Lasagne beim Italiener direkt am Neckar, die ich genieße, während ich dem träge vorbeifließenden, braunen Wasser nachschaue. Auch hier: Hochwasser.
Ich beschließe, zum Campingplatz zurück zu gehen. Noch schnell einen Abstecher
in die Neustadt zum REWE auf der anderen Neckarseite, dann gehe ich die drei Kilometer zum Platz zurück.
Kaum angekommen, trifft eine Radlerin ein, stoppt neben mir.

"Wo ist denn hier ein guter Platz?", fragt sie mich und ich empfehle ihr einen Platz ein Stück weiter, der heute morgen bereits in der Sonne lag. Dort schlägt sie ihr kleines Zelt auf. Und weil's mir dort auch besser gefällt als auf meinem schattigen Platz, versetze ich mein Zelt neben das ihre. Das geht ruck zuck.
"Nicht zu dicht", gibt sie zu verstehen, "s
chnarchst du?"

Wenn sie wüsste, wie laut es hier nachts wegen Straße und Bahnlinie zugeht, würde sie das nicht fragen.

Ich biete ihr einen Kaffee an, weil wir schon ins Plaudern gekommen sind. Was ich denn für einen hätte.

"Instant Kaffee von Jacobs. Schön heiß und braun", meine ich.

"Ja, wie Scheiße, die ist auch heiß und braun", erwidert sie und lehnt dankend ab.

Ich muss laut lachen und mache mir einen Braunen, und während ich ihn heiß genieße, erfahre ich, dass sie aus den Niederlanden stammt und in der Schweiz arbeitet.

"Nicht wegen der Steuer!", beteuert sie.

Sie sei Ergotherapeutin und ihr Name ist Dannee.

Ich rücke einen weiteren Holzklotz neben den meinen und es wird so richtig gemütlich.

So plätschert der Nachmittag plaudernd auf das Angenehmste dahin. Und da gerade die Sonne ihr Bestes gibt, kann ich nebenbei über das neue Solarpanel meine Batterien aufladen. Das geht heute ganz schnell.

Später nutzen wir noch das WLAN an der Rezeption, jeder zur Planung seiner Route für den morgigen Tag.

Es dämmert schon, als Jörg von seinem Tag zurück kommt. Er reicht mir gleich ein Bier herüber und erzählt von seinen heutigen Schlangenbeobachtungen. Es ist sein Hobby und er glüht vor Leidenschaft, wenn er davon erzählt.
Dem ersten Bier folgen weitere, während es schon dunkel wird. Dannee zieht sich in ihr Zelt zurück und ich lerne Jörg noch ein bisschen besser kennen. Leicht hat er es gerade nicht, aber das ist eine andere Geschichte.

Spät kriechen wir in unsere Zelte und ich schlafe wunderbar bis zum nächsten Morgen durch.



E1 Tag 48 (7.6.16)

Frühstücken, Rucksack packen, kurze Verabschiedung von Dannee und Jörg, dann geht es 9:30 Uhr los. Bestes Wetter, blauer Himmel, Sonne satt.
Mit der Überquerung des Neckars liegt der Odenwald hinter mir, aber es geht weiterhin rauf und runter, nur nicht mehr so extrem.
Es wird immer heißer. So heiß, dass ich auf den sonnenbeschienenen Feldwegen den schattigen Wald herbei sehne, der allerdings mit hinterhältigen Schmeißfliegen und Stechmücken aufwartet, so dass ich mich schon wieder über die heißen Wege in der prallen Sonne freue. So geht es hin und her und ich denke: "Der Regen war echt nicht schlecht".

Optimal ist es wohl selten und man soll es nehmen, wie es gerade kommt.

Hinter mir fängt es schon wieder an zu grummeln. Wieder wird der Himmel schwarz. Wartet ein neues Unwetter auf mich? Lange stehen die dunklen Regenwolken über mir, kommen nur langsam voran und ziehen allmählich in westlicher Richtung an mir vorbei. Wo ich bin, scheint heute die Sonne. Und so soll es bleiben.

Ich komme an einer Bank vorbei, auf der ein älterer Mann sitzt. Neben ihm ruht ein wuchtiger Rucksack, der größer ist als Kumpel. Der Mann schaut skeptisch in die dunklen Wolken.
Ich bleibe stehen, wir kommen ins Gespräch. Er sei auf dem E1 unterwegs. So wie ich, allerdings ist er in umgekehrter Richtung unterwegs und läuft den Fernwanderweg in einem Stück von Basel nach Hamburg.

"Hamburg ist meine alte Heimat", sagt er sehnsuchtsvoll. So, als wäre er gerne schon da.

"Mein Rucksack ist zu schwer. Demnächst werde ich einiges zurückschicken."

"Meiner ist auch schwer. Aber ich weiß nicht, auf was ich verzichten könnte", erwidere ich und mir fällt nur der nicht funktionierende EOE-Brenner ein, den ich als einziges Unnützte mitschleppe. Aber das Teil wiegt nur 40g. Und vielleicht kann ich ihn noch reparieren...

Als wir uns verabschieden, meint er noch: "Du bist der erste Fernwanderer, den er bisher getroffen habe".

Immer noch liegen zehn Kilometer vor mir, während Kumpels Riemen immer mehr auf meine Schultern drücken. Er zieht mich nach unten, oder ist es die Sonne, die mich fertig macht? Ich komme allmählich an meine Grenzen.
Hinter jeder Kuppe wähne ich das heutige Etappenziel und weiß doch, dass es noch nicht sein kann.

"Nur noch der eine Hügel", hoffe ich.

Dann noch einer. Und noch einer.
ICH KANN NICHT MEHR! Grenzerfahrung.
Da, endlich! Das ersehnte blaue Schild, das mir den Weg zum Campingplatz weist.
Der freundliche, alte Herr an der Rezeption des Wackerhofes scheint ein leidenschaftlicher Campingwart zu sein. Überaus freundlich begüßt er mich, führt mich plaudernd mit seinem Fahrrad zum zugewiesenen Platz, der leider nicht ganz eben ist. So wird es wohl wieder eine rutschige Nacht im Zelt werden, die ich in der einen oder anderen Ecke des Zeltes verbringe.

Aber egal, ich bin ja angekommen.
Duschen, Kleiderpflege, Zelt aufbauen, Kochen. Langsam wird es Routine.

Heute gibt es das zweite gefriergetrocknete Gericht, das ich bei mir habe: Trek'n Eat Huhn mit Curryreis. Heißes Wasser drauf, 8 Minuten warten. Fertig.
Es ist nicht ganz so lecker wie das erste Gericht.
Ab jetzt wieder 150g weniger im Rucksack. Hurra.

Während ich noch einen heißen Tee genieße, beobachte ich ferne Wetterleuchten, von leisem Donnergrollen begleitet. Dunkel, fast schwarze Wolken ziehen rechts und links am Campingplatz vorbei und ich hoffe inständig, dass diese Nacht trocken und ruhig bleibt.
Sie tut es. Der Campingwart erzählt mir am nächsten Morgen, dass der nächste Ort heute Nacht in einer Schlammlawine versunken sei. Und er verrät, dass der Hügel, auf dem der Campingplatz liegt, sehr oft von Regen verschont bleibt. Das hätte er mir schon gestern Abend erzählen sollen, finde ich.

Übernachtung: Camping Wackershof bei Östringen


E1 Tag 49 (8.6.16)

Babygeschrei reißt mich sehr früh aus dem Schlaf. Stehe ich halt auf. Duschen, in aller Ruhe frühstücken, Rucksack packen. Es beginnt Routine zu werden. Das Zelt bleibt bis zum Schluss stehen, damit es ganz trocknen ist, wenn ich es einpacke.

Der Weg führt mich über sanfte Hügel, Wald gibt es nur noch wenig. Der Odenwald liegt endgültig hinter mir.

Heute ist es nicht mehr so warm wie gestern, aber schön sonnig. Ich komme durch Menzingen, dort geht es über den Stadtbahnwanderweg nach Odenheim. Ich hatte damit gerechnet, in einem Supermarkt Proviant aufnehmen zu können, aber es liegt keiner auf meinem Weg. Auch kein Bäcker, einfach nichts. Notgedrungen kaufe ich in einer Tankstelle ein Magnum-Eis, außer kalten Getränken und süßen Snacks haben sie nichts.

Ich setze mich auf eine Bank, knacke genüsslich das Magnum und denke an die Fernsehwerbung. Mir fällt auf, dass die Bank direkt vor einer Bäckerei steht. Sie ist klein und unscheinbar und hat kein Schaufenster. Deshalb habe ich sie übersehen. Sie hat geschlossen, denn es ist Mittagspause, wie in dieser Region allgemein üblich. Zwischen 12 bis 15 Uhr geht nichts. Und Montag auch nicht, da haben alle Ruhetag. Das macht die Versorgung beim Wandern nicht einfach.

Ich werfe einen Blick auf die Wanderkarte und entdecke ein Zeichen, dass für ein Wanderheim steht. Das interessiert mich. Ich kann mehrere dieser Symbole auf der Karte entlang meines weiteren Wegs entdecken. Ich passe meine Tour an, es liegt nur ein paar Kilometer weiter im Wald. Doch ich werde enttäuscht, denn es hat geschlossen, ist überhaupt nur Sonntags für Wandergruppen geöffnet, wie ein Schild informiert. Es ist also keine preiswerte Alternative bei Regen zum Campingplatz, wie ich gedacht hatte. Schade. Also weiter. Es geht jetzt auf engem Weg nach Kürnbach. Wieder einmal bin ich überrascht, welch kleine Pfade Else Komoot kennt! Das Gras steht hoch und müsste gemäht werden. Aber der viele Regen hindert vielleicht denjenigen, der für diesen Wegabschnitt zuständig ist. So wird ein Zeckenwege draus. Aber da bin ich schon sorgloser geworden und lasse meine nackten Beine an hohen Grashalmen vorbeistreifen, denke wenig an die blutrünstigen Zecken, die nur darauf lauern, auf meine Beine zu springen. Denn ich habe vorgesorgt, jeden morgen Kokosöl auf Arme und Beine verteilt. Es war ein guter Tipp einer Pferdeliebhaberin, die ihrem Pferd Hufe und Beine damit einreibt. Die Zecken sollen den Geruch nicht mögen und ich hoffe inständig, dass es stimmt. Bisher hat noch keine Zecke angebissen.

Nun ist es nicht mehr sehr weit bis zur Ölmühle, die heute meine Unterkunft sein soll.
Im Osten braut sich ein weiteres Unwetter zusammen. Zunächst sind es nur dunkle Wolken, die sich schnell zu bedrohlicher Größe auftürmen und pechschwarz werden. Ist da nicht eine Windhose zu sehen? Ich beschleunige meine Schritte, denn in dieses Unwetter möchte ich nicht geraten.

Ein klapperiges, altes Auto überholt mich. Kaum ist es an mir vorbei, da stoppt es abrupt, der Fahrer verrenkt seinen Kopf, während er aus der Seitenscheibe zu mir rüberschaut. Nach einer Weile kurbelt er das Fenster herunter.

"Wills´t mit?" fragt er. "Wegen de Unwedde".

"Ja". Ich schmeiße Kumpel schnell auf den Rücksitz.

"Danke". Ich bin echt froh, auch wenn jetzt ein paar hundert Meter Deutschland unter meinen Wanderstiefeln fehlen. Es ist mir egal in diesem Moment.
Schon an der nächsten Kreuzung läßt er Kumpel und mich raus.
"Do isses", meint der Fahrer, dann tuckert er weiter.
Ich nehme die Füße in die Hand und sehe zu, dass ich zur Ölmühle komme, denn es beginnt zu regnen.

Das alte Gemäuer, das die Ölmühle sein soll, sieht schon etwas herunter gekommen aus. Ich hatte mir etwas anderes vorgestellt und ob des ersten Eindrucks bin ein wenig enttäuscht.
In einem Gartenhäuschen sitzt der Gastwirt mit seiner Frau. Sie sehen fern.
"Ah, do isch de Wanderer", begrüßt er mich und zeigt mir sofort, ohne viel mehr zu sagen, mein Zimmer.
"Bekomme ich noch etwas zu essen?", frage ich besorgt, denn hier ist überhaupt nichts los und anscheinend bin ich der einzige Gast.
"Ah, scho. Sie mögen sicher Schnitzel mit Pommes?" Das war keine Frage.
"Klingt gut", meine ich. Hauptsache Essen, denke ich.
"I klopf' dann", meint er schon im Gehen.

Der sucht nicht den Kontakt zu seinen Gästen, denke ich, während ich auspacke.
Tatsächlich klopft es um 19:30 an meiner Zimmertür. 

Der Wirt steht draußen.
"Dos Esse steht auf de' Tisch. Macht 54,90€ für Übernachtung, Esse' und Frühstück. Wenn's geht, bar!"
"Lassen Sie mich erst einmal essen. Es wird doch kalt."
Ich merke, das passt ihm nicht. Er zieht wortlos ab.

Übernachtung: Gasthof Ölmühle bei Oberdingen


E1 Tag 50 (9.6.16)

Während es draußen ungeheuer viel geregnet haben muss, habe ich in der ungastlichen Unterkunft herrlich geschlafen.

Um 7:30 klappert es draußen, das Frühstück wird wohl gerichtet. Zu sehen bekomme ich niemanden und als ich meine Zimmertür öffne, liegt der Frühstücksraum verlassen vor mir, eine Neonröhre am Fenster beleuchtet den Raum mit kaltem Licht.
Hungrig mache ich mich über das karge Frühstück her. Den vereinbarten Lohn lege ich einfach auf den Tisch, packe meine Sachen, schultere Kumpel und gehe wortlos. So möchte es der Wirt wohl auch haben. Mir scheint, er sucht keinen Kontakt zu seinen Gästen.

Es ist bewölkt und kühl. Der Weg ist matschig und die Wanderstiefel bald über und über mit Dreck bedeckt.
Kurz vor Freudenstein trete ich aus dem Wald. Vor mir liegen Weinberge, durch die ein schmaler Steig nach unten führt. Hier soll es langgehen, meint Else Komoot, doch vorher muss ich noch eine Straße überqueren. Sie ist mit heruntergeschwemmter Tonerde bedeckt, durch die ich waten muss. Die nasse, schwere Erde reicht bis zur den Stiefelschäften. Ich frage mich gerade, ob ich meine Schuhe wohl je wieder sauber bekomme, da höre ich eine weibliche Stimme hinter mir:

"Da würd' ich nich lang gehe, wegge de Zegge."
Da hat sie wohl recht, denn das Gras, das auf dem abschüssigen Steig wächst, würde mir bis zur Hüfte reichen.
Wo ich denn langgehen könne, frage ich sie und so kommen wir ins Gespräch.

Eine Dogge neben ihr wartet ungeduldig, sie möchte weiter. Doch die Frau erzählt mir in aller Ruhe aus ihrem Leben. Sportlich schaut sie aus und wie sie erzählt, ist sie es wohl auch. Fährt mit dem Rad lange Touren, macht Kickboxen. Sie muss in meinem Alter sein und ihre Sportlichkeit beeindruckt mich sehr. Doch dann driftet sie ab in das derzeit so aktuelle und unerfreuliche Thema <Ausländer>, steigert sich zunehmend hinein. Anscheinend gibt es auch hier ein Thema mit Flüchtlingen. Zumindest in den Köpfen mancher Menschen.
Ich versuche, freundlich zu bleiben und verabschiede mich unter dem Vorwand, dass mir kalt wird.

Der Weg führt durch die Weinberge, für den Umweg werde ich mit einem schönen Ausblick belohnt.

Kaum bin ich im Tal in Freudenstein, geht es auch wieder steil bergauf. Wieder ist der Weg reich an Höhenmetern, die es in die eine oder andere Richtung zu überwinden gilt.
Bald erreiche ich Maulbronn, es ist noch früh, denn der Weg bis hierhin war nicht weit.

Am Nachmittag ist Zeit, die Klosteranlage Maulbronn zu besichtigen.
Doch erst einmal mache ich ausgiebig Rast, hole den Kocher hervor und braue mir einen heißen Instant-Kaffee. Ich muss kurz an Dannee denken und ihre Meinung über meinen Kaffee: "Schwarz und heiß und schmeckt wie Sch...".
Im Internet finde ich die Pension StuttgART36. Eine schön gemachte Site verführt mich zu einem Anruft und schon habe ich ein Zimmer für die Nacht. Wie schön.

Kurz darauf checke ich in der Pension ein. Ein stilsicher restauriertes, altes Gebäude, von den Eigentürmern liebevoll betrieben.
Ohne Kumpel erkunde ich bald das UNESCO-Weltkulturerbe <Kloster Maulbronn>. Es gibt viel zu sehen, jeder Blick offenbart Interessantes. Die alten Klostermauern beherbergen auch ein Internat, und das bereits seit mehreren hundert Jahren in ununterbrochen Folge. Ansonsten hat das Kloster eine wechselhafte Geschichte.
Ich bin erstaunt, wie wenige Touristen hier unterwegs sind. Dabei haben wir das herrlichstes Wetter. 

Lustwandeln macht Hunger.

Am Klosterplatz liegt das Restaurant <Zur Klosterkatz>. Ich lasse mich draußen in der Sonne nieder und bestelle Pizza Tonno und vorab und ganz schnell ein großes, dunkles und süffiges Klosterbier. Oh, das schmeckt so gut, dass gleich noch ein Zweites her muss.

Wenn man alleine unterwegs ist, hat man auch mußevolle Zeit und kann in Ruhe beobachten. Das tue ich ausgiebig, während ich auf mein Essen warte.
So sitzt am Nebentisch ein älterer Mann in weiblicher Begleitung. Seinen dicken Bauch trägt er mit Würde und bestellt die Speisekarte gerade rauf und runter. Nebenbei unterhält er seine weibliche Begleitung königlich mit klugen Sprüchen. Sie turteln und geben sich Küsschen. Süß.

Zwei Tische weiter: ein alter Herr - sehr entspannt. In der Hand eine Zigarre, an der er gelegentlich genüsslich saugt. Er macht auf mich den Eindruck des weisen Geistlichen. Ihm gegenüber: ein junger Mann - sehr aufrechte Haltung, angespannt. Seine Hände in ständiger Bewegung, währenddessen er sein Gegenüber nicht aus den Augen lässt.

Auf der anderen Seite: eine amerikanische Großfamilie. Die junge Mutter genießt entspannt ihre Pommes, während ein junger Mann den Alleinunterhalter für die zahlreichen Kinder spielt. Erst spielt er mit ihnen Verstecken, dann Fassen kriegen, dann Fußball. Die Kinder wollen ständig etwas anderes. Schließlich setzt er sich und stibitzt von allen Tellern übrig gebliebenen Pommes. Ein Junge - vielleicht sechszehn - läßt seine Knie pausenlos auf und ab hämmern. Seine Mundwinkel sind nach ganz unten gezogen. Beim Fußballspielen hat aber auch er später seinen Spaß und gibt ordentliche Pässe.

Dann verschwindet die Sonne vom Klosterplatz. Rasch wird es kühl. Ich verschwinde auch, mir ist jetzt nach Ruhe.

Den Abend beschließe ich mit Fernsehen. Wild Wild West mit Will Smith ist heute genau das Richtige für mich. Leichtigkeit des Seins.

Übernachtung: Pension StuttgART36


E1 Tag 51 (10.6.16)

Das Frühstücksbuffet ist liebevoll angerichteten, so dass ich lange bleibe. Erst spät checke ich aus, um heute auf die letzte Tour der Odenwald-Etappe zu gehen.
Kumpel freut sich, wieder an meinem Rücken zu hängen. Ich freue mich nicht so sehr, denn ich bin es, der ihn gleich wieder bergauf schleppen muss. Es geht quer über einen Schulhof im neuen Teil Maulbronns, gerade ist Pause: Schülerinnen und Schüler schauen mir wortlos nach. In einer Ecke knutscht ein junges Pärchen; die beiden interessieren sich nicht für mich.
Bald umgibt mich wieder der Wald. Der Weg ist trocken, der Regen mittlerweile versickert. Durch das Blätterdach blinzelt die Sonne.

Nach fünf Kilometern stoße ich auf den Nachbau einer alten Wehranlage. Hier wird demonstriert, wie Ende des siebzehnten Jahrhunderts die Eppinger Linie verteidigt wurde. Vor mir steht ein 12m hoher Holzturm (Chartaque), der Teil einer Verteidigungsanlage war. Ich besteige ihn und bin von dem Ausblick über das weite Tal überwältigt. Der Turm wird durch spitze Pfähle geschützt, die damalige französische Angreifer abwehren sollten.
Kurz darauf stoße ich auf den Eppinger Linien Weg. Es ist zwar ein kleiner Umweg, aber der Pfad sieht sehr interessant aus. Er verläuft auf dem alten Wall, der damals innnerhalb von zwei Jahren von verdungenen Bauern geschanzt wurde, links davon ein tiefer Graben. Ein Verhau ineinander verkeilter Baumstämme machte die Verteidigungslinie damals komplett. Das war sehr effizient und ihre abschreckende Wirkung verhinderte eine Eroberung durch die Franzosen im Pfälzischen Erbfolgekrieg, den der alte Sonnenkönig König Ludwig XIV anzettelte. So einfach war das damals noch.

In Mühlacker finde ich endlich einmal wieder einen Supermarkt, wo ich mich mit einer großen Tüte Salat versorge. Nach einem kurzen Gang durch die Fußgängerzone treffe ich auf die Enz. Auf einer ergonomischen Bank direkt an der Enz genieße ich eine sehr entspannende Pause und verdrücke dabei den ganzen Salat auf einmal. Auch die Enz führt Hochwasser, wie braune Trinkschokolade fließt es träge an mir vorbei.
Als die Sonne hinter den schützenden Blättern hervorlugt, mache ich mich wieder auf den Weg. Auf einer Brücke überquere ich die Enz, der verträumte Weg schlängelt sich direkt am Flusslauf entlang.
Noch einmal treffe ich auf eine Schutzhütte und beschließe spontan, eine Pause zu machen und den letzten Kaffee - schwarz wie Sch... zu kochen.

Lange sitze ich, starre gedankenverloren auf die Enz, die weit entfernt hinten im grünen Flußdelta fließt. Ich packe zusammen und schultere Kumpel, der mir heute gar nicht so schwer vorkommt wie sonst.
Schließlich bin ich am Ziel, nur noch eine Treppe hoch. Doch sie ist gesperrt, was einen längeren Umweg bedeutet.
Dann sehe ich mein Hotel, dass ich aber erst umrunden muss. Eine breite, dicht befahrene Straße muss noch überquert werden und unglücklicherweise muss ich der Straße auch noch ein Stück folgen, denn einen anderen Weg zum Hotel gibt es hier nicht. Fußgänger sind hier nicht vorgesehen und die PKW und LKW rasen gefährlich dicht an mir vorbei, nehmen wenig Rücksicht.

Doch auch das ist bald geschafft und schon vergessen.

An der Rezeption des Hotels empfängt man mich freundlich. Ein junger Mann fragt, ob ich mit dem Fahrrad angereist sei. Er hat offenbar nicht so genau hingeschaut, denn mit Kumpel auf dem Rücken würde das nicht gehen.
Das Zimmer im Neubau ist schön und von der nahen Autobahn ist durch die geschlossenen Fenster nichts zu hören.
Luxus pur am letzten Abend. So war es geplant und so bekomme ich es jetzt.
Die Sauna ist leider nur lauwarm, dafür ist der Spargel, den ich anschließend auf der Sonnenterrasse genieße, schön heiß. Heute gibt es alkoholfreies Hefeweizen dazu.
Die Nachtruhe kommt früh und ist friedvoll. Das erste Spiel der EM 2016 lasse ich sausen.
Bevor ich die Augen schließe, beschäftige ich mich noch ein wenig mit der nächsten Tour, die mich durch den Schwarzwald führen wird.
Im Moment verspüre ich wenig Lust dazu. Vielleicht verschiebe ich sie auf das nächste Jahr. Mal sehen.

Übernachtung: Best Western Niefern


E1 Tag 52 (11.6.16)

Ein solides Businessfrühstücksbuffet gibt mir die Kraft für das letzte Stück.
Es soll wieder regnen und so will ich nur bis zur nächsten S-Bahnstation spazieren.
Aber die Prognose ist heute falsch, es wird freundlich, fast sonnig. Statt rechts zur S-Bahn abzubiegen, gehe ich einfach weiter geradeaus und marschiere auch die letzten Kilometer bis zum Pforzheimer Bahnhof an der Enz entlang.
Der Weg lohnt sich. Es geht durch eine aufwändig gestaltete Parklandschaft. Mal führt der Weg links, mal rechts am Fluss entlang. Mehrere Brücken sind zu überqueren.
Kumpel kommt mir heute leicht wie eine Feder vor. Wir haben uns gut aneinander gewöhnt und kommen prima miteinander aus.
Schließlich erreiche ich ein Gaswerk. Ein imposanter Gasometer signalisiert die Stadtgrenze Pforzheims.
Kurz darauf biege ich Richtung Innenstadt ab, dem Bahnhof entgegen. Es erwartet mich wenig attraktive Nachkriegsarchitektur. Deutschlandflaggen hängen aus vielen Fenstern, denn die EM 2016 ist im vollen Gange.

Da ist der Bahnhof schon. Alt und marode liegt er da, wird aber derzeit renoviert.

Die Toiletten sind zugesperrt. MMhhh. Ich würde jetzt eine brauchen...

Muss warten, bis ich im Zug sitze.
Ein Brötchen und ein Kaffee verkürzen die Wartezeit bis zur Abfahrt des schon lange gebuchten IC. Die Toilette im Zug ist frei, sonst hätte es ein Unglück gegeben...
Danach ist die Rückfahrt nach Hamburg entspannt. Kumpel genießt sie auf einem eigenen Platz. Mancher schaut ihn verwundert an.
Sechs Stunden später läuft der Zug in Hamburg ein. Die Großstadt hat mich mit ihrem Lärm und ihrer hektischen Betriebsamkeit zurück.

Am liebsten würde ich gleich wieder umkehren.

Rückfahrt: Deutsche Bundesbahn. IC über Kassel nach HH


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Wandern auf dem E1

Storlien (Schweden) ↔️ Rom (Italien)

206 Tage  | 5.085 km

Touren 2023: 

März: Italien, Via Francigena bis Rom

August: Norwegen, Nordlandsleden




Drymat