
Aufgeben gilt nicht!

2. Tour durch Dänemark | 4 Etappen| 88 km | 13.5.-16.5.17, | E1 - Tag 78 - 81
Dänemark in einer Tour zu durchwandern, ist vom Tisch. Nach der ersten Tour hat sich auch konkretisiert, dass ich nicht längs durch Jütland bis hoch nach Skagen laufen werde, sondern definitiv die kürzere Strecke des E1 wähle, die nach Grenaa führt.
Bis in die Mitte Jütlands ist das zwar noch egal, denn erst in Nr.Snede trennen sich die beiden Wege. So geht es auf dieser Tour zunächst auf dem alten Ochsenweg weiter durch Südjütland.
Diese Tour soll nach Skanderborg führen. Doch sie nimmt ein unerwartetes Ende.
Zurück im Alltag wird mir eines schnell klar:
Aufgeben gilt nicht! Aber weiter machen wie bisher geht auch nicht.
Es muss sich also etwas verändern. So habe ich meine Planung angepasst: Statt
-
einer langen Tour durch Dänemark wird es mehrere kleine Touren geben.
- den langen Weg des Haervejen zu gehen, wähle ich kürzere Route des E1. Bis Nørre.Snede verlaufen beide Wege gleich. Der Fernwanderweg E1 zweigt dort Richtung Aarhus ab und strebt dann an der Ostseeküste entlang Richtung Grenaa, wo er endet, während der Haervejen weiter nordwärts strebt.
Vom ursprünglichen Plan bleibt immerhin, dass ich, wann immer es geht, weiterhin auf einfachen Zeltplätzen oder in Sheltern übernachten möchte.
Diese Tour soll nach Skanderborg führen. Doch es kommt wieder anders.
Tag 78, 13.5.17, 12km
Zwei Tage nach meiner vorzeitigen Rückkehr ist die Wanderlust wieder da. Ich hätte mich auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre.
Für die zweite Tour wird der Rucksack leichter gepackt, denn aus Fehlern soll man lernen.
Einige Tage später bin ich zurück in Vejen, sitze wieder vor einem Milchkaffee am Tresen des Supermarktes. Meine Gedanken lassen gerade die letzte Tour noch einmal vorüber ziehen, als ein Mann mich anspricht. Er fragt, was Leute öfters fragen, wenn sie mich und meinen großen Rucksack sehen: Wo her? Wo hin? Wie lange unterwegs? Er aber stellt mehr Fragen als üblich und scheint ernsthaft an einem Gespräch interessiert zu sein. Auch er ist Wanderer aus Leidenschaft, offenbart sich bald.
Am Ende unserer ausgedehnten Fachsimpelei gibt er mir zwei Dinge mit auf meinen Weg.
„Das könnte jetzt etwas langweilig werden“, meint er, und dann noch: "Ein Gewitter zieht auf“.
„Hoffentlich nicht“, erwidere ich und merke, dass meine gute Laune einen Dämpfer erhalten hat. Was meinte er wohl mit "etwas langweilig", wo doch schon der bisherige Streckenverlauf des Haervejen wenig spannend und abwechslungsreich war?
Mit beidem soll er Recht behalten: der Weg ist öde und der Himmel verdunkelt sich. Nach zaghaftem Tröpfeln öffnen sich die Schleusen und Donner grollt, Wind treibt dicke Tropfen von hinten heran, die Regenjacke hält sich zwar wacker, doch die Rainleg, die anstelle einer Regenhose die Wanderhose vor Nässe bewahren soll, versagt völlig. Bisher funktionierte sie gut, aber für schräg von hinten kommenden Starkregen ist sie nicht gemacht. Die Wanderhose wird pitschnass und mir kalt.

Kurz vor Baekke soll es ein Shelter geben, doch ich finde es nicht. Im Ortskern finde ich dafür einen Brugsen, was gut ist, um Proviant für den Abend zu bunkern.
Nun will ich aber das Shelter finden, denn auf das Schietwetter habe ich echt keine Lust mehr. Ganz gegen meine Gewohnheit gehe ich sogar freiwillig ein Stück zurück, finde das Shelter schließlich am Ortseingang versteckt liegend in einem Park. Die Suche hat sich gelohnt, denn das Shelter ist toll. Aus dicken Holzbalken ist es gebaut, ein ausladendes Grasdach schützt vor den anhaltenden Schauern. Das Innere ist sauber. Hier kann ich bleiben! Der Abend ist noch lang, ich muss mir die Zeit ein wenig vertreiben. Der Hobo wird zum Spielzeug, ich versuche, in ihm feuchtes Holz in Gang zu bekomme. Und tatsächlich, bald brennt ein ordentliches Feuerchen, doch es qualmt mächtig. Ein Vogelkonzert befördert mich später in geruhsamen Schlaf, während es vor dem Shelter unentwegt regnet.
Tag 79, 14.5.17, 29km
Am Morgen weckt mich das nervige Gurren zweier Tauben, die sich viel zu erzählen haben. Der Regen hat aufgehört, vor dem Shelter wabert der Morgennebel. Die Nacht war angenehm und nicht kalt.
Ohne Frühstück breche ich auf, denn da habe ich heute eine bestimmte Idee. Im Brugsen kaufe ich frische Brötchen, damit suche ich das nahe liegende Haervejen Touristen-Centrum auf, das es in Baekke gibt. Ab acht Uhr ist es geöffnet, das habe ich schon gestern herausgefunden. Es gibt dort sogar eine Dusche, der Gedanke daran erfüllt mich mit Vorfreude.

Der Center-Wart schließt gerade auf und begrüßt mich freundlich. Er zeigt mir den Duschraum und lädt zum Verweilen ein, dann muss er weg - zur Arbeit - für den Haervejen ist er ehrenamtlich tätig. Gut, dass es Menschen wie ihn gibt, sie bereichern das Leben. Vertrauensvoll überlässt er mir die Räumlichkeiten und ich darf bleiben, solange ich will.
Die heiße Dusche tut gut, das Frühstück bringt mich auf Trab. Während Smartphone und Powerbank aus zwei Steckdose Strom zapfen, inspiziere ich die kleine Ausstellung.
Auf einer Tafel lese ich:
Schon vor tausend Jahren, lange bevor Autos die Straßen einnahmen und Züge die großen Städte miteinander verbanden, führte die Hauptverkehrsader Jütlands entlang der Wasserscheide durch das Land. Menschen aller Gesellschaftsschichten benutzen sie – Pilger, Räuber, Händler, Ochsentreiber sowie Könige mit ihren Heerscharen. Der Ochsenweg Haervejen wurde nie gebaut – er entstand von selbst. Vom nördlichsten Jütland bis zur deutsch-dänischen Grenze und weiter in die Welt hinaus schlängeln sich die Wagenspuren durch die oft unberührte Natur.

Mit frischer Energie geht es weiter. Kurz hinter Baekke stoße ich auf ein Wikingergrab, das im 10ten Jahrhundert als Grabmal in Form eines 45m langes Wikingerschiff angelegt wurde. Daneben ein noch älteres Hügelgrab aus der Bronzezeit. Eisentafeln und Felssteine zeigen die Lage des ehemalige Wikingerschiffs, vom Hügelgrab herunter hat man einen guten Blick darauf. Außer Tafeln und Steinen ist allerdings nicht viel zu sehen.
Wieder folgt die Tristesse langer Schotterpisten und Asphaltstraßen. Erst auf einer Anhöhe vor der Vejlen Ǻ (Au) wird es besser. Der Blick ins Tal lässt ahnen, was nun vor mir liegt: eine waldreiche Gegend und das schöne Flussdelta der Vejlen Ǻ. Unten stoße ich auf eine alte Bahntrasse, dessen Gleisbett nun als asphaltierter Wander- und Radweg genutzt wird. Auf ihm geht es viele Kilometer am Fluss entlang und endlich ist die Natur so zauberhaft, wie man es sich nur wünschen kann.

In Vingstedt ist mein Tagesziel erreicht. Hier soll es ein Shelter geben, das ich schnell finde. Es ist schon belagert und so voll, dass ich lieber weiter ziehe. Gut, dass ich als zweite Option den einfachen Zeltplatz am Vingstedt Sø im Ärmel habe. Um dort hinzugelangen, muss ich allerdings noch eine Kuhweide überqueren. Dort folgen mir sehr neugierige Kühe , eine besonders kecke Gescheckte stupst mich mehrfach von hinten an.
Auf dem sonnigen Zeltplatz steht bald das Zelt, Frischwasser gibt es in der Nähe. Der Abend verläuft ruhig und angenehm, das Wetter bleibt gut. Nur Baden kann man in dem See leider nicht, es wäre die Krönung gewesen.
Tag 80, 15.5.17, 33km
Ich schlafe durch, ohne einmal aufzuwachen.
Nun ist schon alles gepackt und nach einem schnellen Frühstück geht's weiter.

Ein paar Schritte hinter dem Zeltplatz stoße ich auf ein Wikingerdorf. Kein Mensch ist zu sehen und trotzdem stehen Hütten und Ställe offen. Eine der Hütten schaue ich mir genauer an. Senkrecht stehende Holzplanken bilden die Außenwände, geschützt durch ein Reetdach. Eine niedrige Tür ist der Eingang, darüber am Giebel thront ein skelettierter Kuhkopf. Zierde oder Abschreckung? Die Decken sind niedrig, die Räume winzig. Ein Raum allerdings ist größer, darin sind Schlafkojen untergebracht, obenauf frisches Bettzeug aus Leinen. Wer übernachtet hier? Schulgruppen vielleicht? Ich frage mich, ob ich in einem Wikingermuseum bin. Doch für weitere Forschungen habe ich keine Zeit. Ein Wanderer muss wandern und auch heute ist der Weg weit.

Lange geht es auf einer alten Bahntrasse das Tal der Vejlen Ǻ Richtung Osten entlang. In Skibet verlasse ich - etwas wehmütig - das schöne Tal, um wieder gen Norden zu streben. Nun gilt es, Höhenmeter zu machen, denn steil geht es aus dem Tal hinauf, Kumpel wird plötzlich auf dem Rücken schwer und ich beginne zu schwitzen.
Der Fårup See ist nicht mehr weit, vielleicht gibt es dort Gelegenheit für ein erfrischendes Bad. Doch nein, welch eine Enttäuschung, auch an diesem See treffe ich auf keine Badestelle. Dafür lenkt der im Wasser dümpelnde Nachbau eines Wikingerschiff meine Aufmerksamkeit auf sich. In dieser Gegend wird tatsächlich an jeder Ecke an die längst vergangene Wikingerzeit erinnert.

Nun bin ich in Jelling. Der Ort macht auf mich einen blitzsauberen und äußerst gepflegten Eindruck. Die Sonne scheint breit vom typisch dänischen Blauhimmel, der, gesprenkelt mit Schäfchenwolken, ganz aussieht, als sei der einem Hochglanzprospekt entsprungen. Die Ortsmitte Jellings ist anders als die Orte, durch die ich bislang kam. Hier bildet die alte, weiße Steinkirche das Ortszentrum, davor ein üppig dimensionierter Platz. Dort setze ich mich zur Pause, es mangelt mir an nichts, denn ich habe mich zuvor in einem Supermarkt mit Proviant versorgt.
Jelling ist ein äußerst geschichtsträchtiger Ort, wie ich durch die vielen aufgestellten Infotafeln erfahre. So lese ich, dass die weiße Steinkirche hinter mir aus der Zeit um 1100 n.Chr. stammt und das in dem Grabhügel Gorm der Ältere, der erste König der Dänen, begraben liegt. Sein Sohn Blauzahn hat die Dänen christianisiert und den zweite Grabhügel errichtet, der weiter hinten liegt, aber nie verwendet wurde. Dahinter stehen weiße Betonpfähle senkrecht im Boden, die die Anlage weitflächig umsäumen. Sie stehen dort, wo früher ein Palisadenzaun die alte Siedlung schütze. Auch eine 350m lange Schiffssetzung gab es hier einmal, doch sie hat die Zeit nicht überdauert. Ein Wikingermuseum gibt es auch.
Um alles in Ruhe zu besichtigen, bleibt wieder mal nicht die Zeit, denn ich muss weiter auf meinem Weg wandern. Ich werfe einen Blick in die Kirche und dann führt mich mein Weg mitten durch den ehemaligen Pallisadenzaun hindurch weiter.
Jelling ist sicherlich einen späteren Besuch wert. Ich werde vielleicht einmal wieder kommen und mir alles in Ruhe ansehen.

Der Nachmittag verläuft ereignislos. Es folgen nicht weiter erwähnenswerte Kilometer auf Schotter oder Asphalt. Am Ende des Tages komme ich nach Kollemorten. In einem Haervejen-Center werden feste Hütten vermietet. Das ist es, was ich heute für die Nacht haben will, denn es soll wieder regnen und auf eine nasse Nacht im Zelt habe ich so gar keine Lust. Das Center ist leicht zu finden. Den Hütttenwart muss man telefonisch herbei rufen, er vermietet mir eine Hütte für 100dKr. Heute bin ich sein einziger Gast, die ganze Anlage habe ich für mich alleine. Zunächst mache ich es mir in meiner Hütte gemütlich. Sie hat vier Betten, je zwei übereinander, und eine elektrische Heizung. Ich schalte sie ein, schnell wird es drinnen gemütlich. Dann Duschen, Wäsche machen, anschließend Essen zubereiten in der Gemeinschaftsküche. Es geht mir richtig gut. Nur die Beine sind müde.
Tag 81, 16.5.17, 16km

Oh, habe ich gut geschlafen! Draußen tobte ein Unwetter über Nacht, aber in der Hütte ist es mollig warm. Alles richtig gemacht, denke ich, während ich mich im Schlafsack strecke. Aus dem Schlafsack zu kriechen, fällt so allerdings schwer, denn draußen regnet es nach wie vor stark. So husche ich schnell unter die Dusche, im Gemeinschaftsraum mache ich mir ein üppiges Frühstück, es gibt wegen der Kälte, die mich draußen erwartet, eine doppelte Ration. Das wird sicherlich ein kräftezehrender Tag, der mir bevorsteht. Nebenan liegt ein Kindergarten, in dem Väter und Mütter ihren Nachwuchs abgeben. Ein schönes Schauspiel spielt sich vor dem Fenster ab, in denen die Kleinen die Hauptrollen und die Eltern die Statisten spielen. Nur ist es kein Spiel. Ich könnte mein Frühstück immer weiter in die Länge ziehen, doch es hilft nichts, irgendwann muss ich los in den Regen. Ich weiß nicht genau, wie der Weg heute verlaufen wird. Irgendwo werde ich den Haervejen verlassen müssen, um dem E1 weiter zu folgen. Vermutlich wird es kurz hinter Nørre Snede so weit sein. Mal sehen. Wie erwartet ist es draußen kalt. Ich ziehe über, was der Rucksack hergibt: Shirt, Fleecejacke und -weste, drüber noch die Regenjacke. Die Rainlegs umschließen die Oberschenkel nur von vorne, hinten bleibt die Wanderhose ungeschützt, ebenso die Waden. Der Regen wird ungehindert in die Wanderschuhe laufen. Das wird bei dem Sauwetter draußen nicht angenehm sein. Aber ich kann es nicht ändern, da muss ich jetzt durch. Recht unwillig mache ich mich auf den Weg. Es regnet und regnet und regnet. Es hört einfach nicht auf.

Die Hose ist nass, die Schuhe sind es auch und die Regenjacke versagt ebenfalls ihren Dienst. Alles ist feucht, vom Scheitel bis in die Sohlen. Mir ist kalt und kurz gesagt: ich habe keinen Bock mehr. Von der Gegend bekomme ich nicht viel mit, denn der Blick ist gesenkt, sieht nur Pfützen und Matsch. Und dabei soll es durch eine zauberhafte Heidelandschaft gehen.

An Nørre-Snede soll es östlich vorbei gehen. Ich aber möchte in die Stadt hinein, der Sinn steht mir nach heißen Kaffee an einem trockenen Plätzchen. Doch bevor ich den Ort erreiche, lockt die Imbissbude auf einem Sportplatz mit ihrer trockenen Terrasse. Die Bude hat zwar zu, aber ich kann mir ja selbst was kochen. Der Gaskocher macht das Wasser heiß und während ich werkle, reift die Erkenntnis, dass hier mit der Etappe Schluss sein soll. Ich mag einfach nicht weiter im Regen tappen. Wozu?

In Nørre-Snede gibt es einen Busbahnhof. Der nächste Bus fährt in zwei Stunden nach Vejle, dort geht es mit dem Zug nach Fredericia, dann mit dem dänischen IC nach Flensburg, von dort mit dem Regionalexpress der DB zurück nach Hamburg. Sieben Stunden dauert die Rückfahrt. Doch es ist mir egal. Nur weg aus dem Regen. So durch bin ich.

Irgendwie liegt mir mit Dänemark zum Wandern nicht.
Immer dieses miese Wetter!
So macht das Wandern keinen Spaß.
Will ich noch weiter?
Ich weiß es gerade nicht.
Hier findest du alle Bilder der 2.Etappe.
