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Weg der Schweiz (E1-CH-02)

Wegmarke
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In der Schweiz unterwegs: 

 

Von Schwyz nach Flüelen am Vierwaldstätter See entlang

Tag 94 auf dem E1

1 Wandertag am 02.09.17, 20 km, mit anschließender Zugfahrt nach Andermatt ;-)

Nachdem die Via Jacobius nach vier Etappen hinter mir liegt, lasse ich den fünften Wandertag durch die Schweiz ruhiger angehen. Eine relativ kurze Etappe führt mich auf dem Weg der Schweiz nach Flüelen. Dabei geht es am Ufer des Vierwaldstätter Sees entlang, ein Stück auch auf dem Wasser. Der Weg hält Schmankerl bereit, auf die ich mich besonders freue. In Flüelen ist der Weg der Schweiz dann auch schon wieder zu Ende. Jedenfalls für mich, der nun mit der Matterhorn-Gotthard Bahn nach Andermatt fährt und damit eine ganze Tagesetappe abkürzt. Aber der Gotthardpass lockt, ich kann es gar nicht mehr erwarten...


Wanderbericht


Auch am nächsten Tag regnet es in Strömen, es ist der dritte Tag in Folge. Doch die Wettervorhersage verspricht endlich Besserung. Also geht es wieder in voller Regenmontur los. Ich bin noch nicht recht warm gelaufen, da liegt in Unterschönenbuch die nächste Kirche am Wegesrand. Alle Kirchen kann ich gar nicht besuchen, wenn ich voran kommen möchte. Diese will ich links liegen lassen und bin auch schon fast vorbei, als ich aus dem Augenwinkel zwei riesige Rucksäcke an der Kirchwand lehnen sehe. "Zwei Fernwanderer in der Kirche", denke ich erfreut, denn bisher bin ich in der Schweiz keinem Wanderer mit schwerem Rucksack begegnet. Es sind überhaupt nur wenige Wanderer unterwegs. Um so mehr bin ich gespannt, wen ich gleich in der Kirche treffen werde. Ich stelle meinen kleinen Rucksack neben das monströse Gepäck - der Größenunterschied zu meinem Rucksack ist wirklich gewaltig - und öffne die schwere Kirchenpforte. Am Ende des Kirchenschiffs sind ein Mann und eine Frau, braun gebrannt und drahtig, mit der Betrachtung des Altars beschäftigt. Als ich eintrete, wenden Sie sich zu mir um. "Ah, ein Wanderer", entfährt es dem Mann und er kommt erfreut auf mich zu. Wanderer haben sich immer etwas zu erzählen und auch jetzt plaudern wir bald wie alte Bekannte. Ich erfahre, dass die beiden durch die Schweiz wandern wie ich, sie sind auf dem TransSwissTrail unterwegs, der ab morgen auch meinen Weg bestimmen wird, nur in die andere Richtung. Der Mann ist Schweizer, seine Frau stammt aus Australierin, wo sie seit vielen Jahren leben. Nun sind sie auf Wandertour durch seine alte Heimat. Das Wetter ist ihnen mehr hold gewesen als mir, dafür habe ich mit meinem Gepäck mehr Glück. Die beiden schleppen schwer an ihrem großes Gepäck. "17 kg sind einfach zu viel", verrät er mir. Das kann ich nur bestätigen und bin froh über meinen 8 kg leichten Rucksack. Uns gemeinsam ist, dass wir nur wenige andere Fernwanderer getroffen haben und froh sind, endlich mal einem Gleichgesinnten zu begegnen. Es gäbe noch vieles zu sagen, doch wir müssen ja weiter. Ein Winken zum Abschied und wir gehen unserer Wege, jeder in seine Richtung. 

eine kleine Prüfung wartet auf mich
eine kleine Prüfung wartet auf mich

Kurze Zeit später steht mir eine kleine Prüfung bevor. Durch den überfluteter Bohlenweg vor mir muss ich durch, da gibt es kein Drumherum. Vermutlich wird jetzt meinen Lederstiefeln einiges abverlangt werden. Ich wate einfach drauf los, denn ich vertraue auf die Wasserdichtigkeit meiner gut gefetteten Wanderstiefel. Ein paar Meter geht alles gut, doch das Wasser steigt immer höher, die Stiefel drohen voll zu laufen. Was tun? Das Holzgeländer scheint stabil, wird es mich aushalten? Ich steige drauf und hangele mich mühsam voran. Meter für Meter, wie ein Affe auf dem Seil. Nur nicht so elegant und schnell. Das Ende des Bohlenweges ist auch das Ende für das Geländer, nicht aber für das Wasser. Einige Meter sind es noch, die der Weg unter Wasser steht. Der geneigte Leser will mich jetzt sicher baden sehen. Doch nein, ich schaffe es. Ein kecker Sprung ins Wasser, zwei Hopser und ich bin im Trocknen. Das Wasser war gar nicht mehr so tief. Kein Wasser ist in die Stiefel gelaufen. Gut gemacht! Erst jetzt kommt mir die Idee, dass ich die Stiefel auch hätte ausziehen können. Das nennt man wohl steigende Lernkurve!

das Dampfschiff Uri kommt aus Luzern
das Dampfschiff Uri kommt aus Luzern

Vierwaldstätter See voraus! Da liegt der ersehnte See endlich vor mir. Klar und grün das Wasser, die hohen Berge schneebedeckt, tief hängende Wolken, regenschwer. Doch aus ihnen regnet es nicht mehr. Endlich tritt ein, was vorhergesagt war. Aus der Ferne dampft ein breites Schiff heran, die Aufbauten niedrig. Es kommt näher, steuert den Anleger an. Zwei Schaufelräder treiben es an, der Schornstein dampft. Es handelt sich um die Uri, eines von fünf alten Schaufelraddampfern, die auf diesem See seit 100 Jahren verkehren. Bald macht es am Anleger fest. Breitbeinig steht der bärtige Kapitän auf der Brücke, beobachtet das Anlegemanöver ruhig und konzentriert. Er sagt nichts und doch läuft alles wie am Schnürchen. Die Leinen werden von den bereit stehenden vier Matrosen vorschiffs und achtern über den Poller geschmissen und vertäut. Eine aufwändige, aber routinierte Prozedur, die schön anzuschauen ist. Passagiere verlassen das Schiff, andere steigen zu. Bald heißt es wieder: Leinen los, die Uri dampft über den Vierwaldstätter See zurück nach Luzern. Ich hoffe, ein ähnlicher Dampfer wird auch nach Flüelen fahren, denn ich habe soeben beschlossen, ein Stück mitzufahren. Spontan kaufe ich eine Fahrkarte und warte im Café auf die baldige Abfahrt. Drei Wanderstunden werde ich auf diesem Wege einsparen und auch einige hundert Höhenmeter. Schlau, oder?

Dampfschiff "Stadt Luzern"am Anleger Sisikon
Dampfschiff "Stadt Luzern"am Anleger Sisikon

Bald kommt ein weiterer Schaufelraddamper angedampft, diesmal aus der anderen Richtung. Die "Stadt Luzern" sieht ihrem Schwesterschiff zum Verwechseln ähnlich. Voller Vorfreude gehe ich an Bord. Während die meisten Passagiere die Restaurants an Bord entern, erkunde ich das Schiff. Viel gibt es zu entdecken. die Dampfmaschine, die drei rote Kolben, die ruhig stampfend die Kurbelwelle antreiben, die zwei Schaufelräder, die sich im Seewasser drehen. Alles an Bord scheint noch Original zu sein. Der bald hundert Jahre alte Dampfer ist für mich die reinste Augenweide. Nur das 1. Klasse Deck bleibt mir verborgen, dort darf ich mit dem 2.Klasse Ticket nicht hin. Die Schifffahrt ist viel zu schnell vorbei. Als einziger Gast gehe ich in Sisikon von Bord, natürlich fängt es just in diesem Moment an zu regnen.

Habe ich das jetzt richtig gemacht? Ich hadere ein bisschen mit meiner Entscheidung. Ich hätte auch bis nach Flüelen weiter fahren können? Los jetzt, Junge! Das ist nur Regen, du kennst das schon. Ich ziehe die Regenkleidung über und ab geht's. Um mich zu motivieren, hole ich mir ins Gedächnis, was ich zuvor gelesen habe: der Weg soll sich lohnen. Doch das sieht gerade nicht so aus. Rauf und runter geht es, erst ein Stück am Seeufer entlang, dort ist es schön, dann aber an der Eisenbahn entlang, das ist nicht so schön und dann geht es hinauf zur Straße, das nervt gewaltig, denn dort herrscht reger Verkehr. Nach ein paar Kilometern erreiche ich die Anlegestelle Tellsplatte, dort gibt es ein Ausflugslokal. Ich gönne mir ein Eis der Marke "Ovomaltine", denn das habe ich nach dem Auf und Ab jetzt verdient, finde ich.

Ab hier wandert man auf den Spuren von Wilhelm Tell, dem legendären Schweizer Freiheitskämpfer. 

Die Legende lässt den habsburgische Landvogt Gessler zu Altdorf einen Hut auf eine Stange stecken und befiehlt den einheimischen Untertanen, diesen jedes Mal zu grüssen, wenn sie an ihm vorübergehen. Wilhelm Tell, ein weithin bekannter Armbrustschütze, verweigert den Gruß, und der Vogt befiehlt ihm daraufhin, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes Walter zu schießen. Sein Kind müsse andernfalls mit ihm sterben. Tell tut widerstrebend, wie ihm geheißen, und trifft den Apfel. Er wird gefragt, wozu er sich einen zweiten Pfeil genommen hat und antwortet, wenn er sein Kind getroffen hätte, wäre dieser für den Vogt bestimmt gewesen. Daher lässt der Vogt ihn gefesselt auf seine Burg nach Küssnacht überführen. Auf dem Vierwaldstättersee aber bringt ein Sturm das Schiff in Gefahr und Tell wird seiner Fesseln entledigt, um das Boot zu lenken. Geschickt steuert er es gegen das Ufer, wo die Steilwand Axen sich erhebt, und springt dort auf eine hervorstehende Felsplatte, die noch heute Tellsplatte heisst. Er eilt über die Berge nach Küssnacht, erwartet den Vogt in einem Hohlweg, der Hohlen Gasse, und erschießt ihn aus sicherem Versteck mit der Armbrust und wird so zum Tyrannenmörder. (Quelle: Wikipedia)

Auf der Tellsplatte ist heute die TellsKapelle errichtet, in der mit vier Bildern die Geschichte erzählt wird.

Etwas höher befindet sich das Glockenspiel, gespendet von Schweizer Schokoladenfabrikanten. Siebenunddreizig bronzene Glocken stehen für ein Konzert bereit, immer zur vollen Stunde kann man an einem Steuerpult ein Stück auswählen. Ich wähle die Ouvertüre von Wilhelm Tell und gleich darauf bricht ein gewaltiger, doch wohlklingender Lärm los, ähnlich dem im nachfolgenden Video.

Eine Weile lausche ich, doch die Ouvertüre will gar nicht mehr aufhören. Schließlich wende ich mich um und gehe weiter. Lange begleiten mich die Glockenklänge, bis der Verkehrslärm schließlich doch wieder die Oberhand gewinnt. Dann geht es einen Tunnel hindurch, auf der anderen Seite ist schon Flüelen zu sehen. Viele Stufen führen nun hinab zum See. Zwei Ausflügler begegnen mir, vermutlich kommen sie aus Flüelen. "Ist es noch weit?", fragen sie außer Atem. Ich bin nicht sicher, ob sie die Treppen, das Glockenspiel oder die Tellsplatte meinen. "Ich weiß es nicht, es geht halt immer auf und ab", erwidere ich.

In Flüelen ist der Weg der Schweiz für mich zu Ende. Für andere führt er weiter um den See herum, ich aber wechsel jetzt auf den Trans Swiss Trail, um dem schroffen Tal der Reuss zu folgen. Nun wird es bald alpin werden und darauf freue ich mich schon so sehr, dass ich es gar nicht mehr abwarten kann. Weil Straße und Schiene für eine Weile dicht neben dem Wanderweg verlaufen und ich mir den Verkehrslärm nicht antun möchte, nehme ich jetzt den Zug. Eine Tagesetappe spare ich ein und komme so dem Gotthard schnell näher. Ich kann es doch kaum noch erwarten, endlich über den Gotthardpass zu steigen.

Während der Zug parallel zum Wanderweg zuckelt, ist Zeit, ein paar Mails zu checken. Ein unbekannter Kilian hat mich über meine Site informiert, dass er demnächst in Dänemark wandern will und noch ein paar Fragen zur Route habe. Sonderbar, dass ich gerade jetzt so etwas gefragt werde, wollte ich doch eigentlich selbst gerade in Dänemark wandern. Mich hat nur das permanent schlechte norddeutsche Wetter abgehalten und anders disponieren lassen. Nun wandere ich hier in der Schweiz im Regen, welch eine Ironie! Ich will ihm gerade eine Route empfehlen, da halte ich inne, denn das kann ich wirklich auf heute Abend verschieben! Draußen zieht das Reusstal vorbei und das Hier und Jetzt ist doch wirklich wichtiger als eine E-Mail.  So genieße ich die vorbeiziehende Landschaft wieder in vollen Zügen. In Göschenen muss ich in den roten Triebwagen der berühmten Matterhorn-Gotthard Bahn umsteigen, der sich kurz darauf steile Berge emporschraubt. Vorbei geht es an der sagenumwobenen Teufelsbrücke, die in der Schöllenenschlucht über die hier sehr wilde Reuss gespannt wurde. Erst diese Brücke ermöglichte ab dem 13.Jhrd. den Weg über den Gotthardpass, bis dahin stellte die wilde Reuss ein unüberwindliches Hindernis dar und niemand kam über diese Schlucht. "Das hätte ich mir auch gerne zu Fuß angesehen". Ich ärgere mich, dass ich nicht in Göschenen ausgestiegen bin. Doch man kann bekanntlich nie alles haben und stattdessen erlebe ich, wie sich der alte Triebwagen immer neue Steigungen empor schraubt und mir das Gefühl vermittelt, in einem startenden Flugzeug zu sitzen. Das ist auch nicht übel.

Außerdem bin ich viel schneller am Etappenziel und das ist es ja, was ich wollte.

ein paar Höhenmeter über Andermatt liegt bereits Schnee
ein paar Höhenmeter über Andermatt liegt bereits Schnee

In Andermatt bin ich für heute am Ziel. Aussteigen. Der Ort liegt auf 1.600m Höhe und nicht weit vom Gotthard entfernt. Es ist empfindlich kalt hier oben, die umliegenden Berge sind zuckerig weiß mit Schnee bedeckt. "Vielleicht muss ich da morgen rüber, wenn es über den Gotthardpass geht", denke ich und während ich zu den Massiven hinüber blicke, spüre ich die Eingeweide zusammen krampfen. Doch das ist morgen, jetzt ist es wichtig, die Unterkunft zu finden, die ich am Frühstückstisch in Schwyz reserviert habe. Aber irgendetwas passt an dem Plan, der auf dem Handy angezeigt wird, nicht mit den Straßen von Andermatt überein. Alles sieht auf der Zeichnung anders aus als in der Wirklichkeit. Ich laufe hin und her, suche Straßennamen und finde sie nicht. Ich beginne zu frieren. Auf die hier herrschende Kälte bin ich nicht vorbereitet. Ich frage eine Passantin nach dem Weg zur Unterkunft und halte ihr den Plan auf dem Display entgegen. Sie schaut auf den Plan, dann kräuselt sich ihre Stirn, schaut mich schließlich etwas mitleidig an. Auf Schwyzerdütsch, das ich hier unmöglich schriftlich wiederholen kann, gibt sie mir zu verstehen: "Das liegt doch auf der anderen Seite vom Gotthard. In Airolo, auf der italienischen Seite." "Oh je, da habe ich wohl etwas durcheinander gebracht". Ich muss lachen. Ob sie mir etwas im Ort empfehlen könne. Sie legt den Kopf schief, taxiert mich von Kopf bis Fuß, sagt endlich: "Der Schweizerhof müsste was für Sie sein."  Ein Einzelzimmer mit Vollbad unterm Dach ist noch frei. Es ist klein, aber nicht übel. Ein heißes Wannenbad macht mich wieder warm und für das leibliche Wohl sorgt im hoteleigenen Restaurant ein großes Steak mit Pommes Frites, dazu Bier. Für morgen braucht es eine extra Kraft, denn es geht ja über den Pass. Die ordentliche Portion Kohlehydrate schaufel ich genüsslich in mich hinein, keine Krümel bleibt übrig. Für einen anschließenden Verdauungsspaziergang durch den kleinen Skiort ist es mir zu kalt. Die Temperatur hat sich, kaum das es dunkel ist, dem Gefrierpunkt genähert. Ich stecke nur schnell die Nase raus. Und nur, um es erwähnt zu haben: es regnet wieder. Ich verschwinde lieber unter warmen Daunen und träume von morgen. Gute Nacht.

zu den Bildern der 5. Etappe (Drop Box Link)
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weiter wandern
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Wandern auf dem E1

Storlien (Schweden) ↔️ Rom (Italien)

206 Tage  | 5.085 km

Touren 2023: 

März: Italien, Via Francigena bis Rom

August: Norwegen, Nordlandsleden




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